WIE WIR WERTE GEBRAUCHEN*


Werte und die psychologischen Zusammenhänge zwischen ihnen haben großen Einfluss auf unser Denken und Handeln. Manchmal zeigen uns diese Zusammenhänge, wie eng viele der Fragen, an denen wir arbeiten, miteinander verknüpft sind. Aber auch andere Faktoren – Kontext, Umwelt und Gewohnheit – spielen dabei eine Rolle. Es scheint deswegen immer noch wichtig, sich mit Strukturen und Strategien auseinanderzusetzen.




Werte und die Dinge, die wir tun
Wer sich vorrangig von intrinsischen Werten wie Freiheit, Kreativität und Selbstachtung (Selbstbestimmungswerte) oder Gleichheit und Einheit mit der Natur (aufs Ganze bezogene Werte) leiten lässt, zeigt oft auch politisches Engagement, Sorge um soziale Gerechtigkeit, umweltfreundliches Verhalten und hat weniger Vorurteile.


Extrinsischen Werten den Vorrang zu geben, bedeutet dagegen meist auch, mehr Vorurteile zu haben, weniger Umweltbewusstsein und entsprechendes Verhalten zu zeigen, sich wenig oder gar nicht um Menschenrechte zu sorgen, mehr manipulatives Verhalten und weniger Hilfsbereitschaft an den Tag zu legen.


Auch unser eigenes Wohlbefinden scheint von unseren Motivationen abhängig zu sein. Extrinsische Werte wie Reichtum und öffentliche Selbstdarstellung wirken eher zersetzend auf unser persönliches Wohlbefinden. Die Wertschätzung anderer oder materielle Güter zu erlangen scheint als Quelle des Lebensglücks eher unzuverlässig. Eine solidere Basis bieten anscheinend Betätigungen, die innere Befriedigung versprechen, wie sie in intrinsischen Motivationen und Selbstbestimmungswerten zu finden sind.


Es ist verbreitet, Menschen in Kategorien der Gruppenzugehörigkeit, des Entweder-Oder einzuordnen (rechts oder links, dafür oder dagegen, gut oder böse). Menschen sind aber mit ziemlicher Sicherheit komplizierter und verschreiben sich selten ausschließlich der einen oder anderen Wertekategorie. Sie tragen vielmehr alle möglichen Werte und Ziele in sich und legen nur mehr Wert auf die einen oder anderen. Aber jeder Wert kann das Denken und Handeln jeder Person zu gegebener Zeit beeinflussen.


Werte sind eine wichtige Triebkraft unseres Verhaltens (es wirken aber auch noch andere Faktoren mit)
Werte sind also aufs Stärkste mit verschiedenartigen Verhaltensweisen assoziiert. Wer Traditionswerte hochhält, wird wahrscheinlich auch Nationalfeiertage und landestypische Gebräuche respektieren. Ausgeprägtes Leistungsstreben geht mit stressgeprägtem Verhalten einher (etwa, indem man zu viele Aufgaben auf sich nimmt), stärkere Hinwendung zum Genuss mit zu vielem Essen.


Natürlich sind es nicht nur Werte, die unser Verhalten bestimmen. Tatsächlich können sich Handlungen manchmal beträchtlich von den uns eigentlich bestimmenden Werten entfernen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Versagen von Notfallzeugen – einer Gewalttat oder eines Unfalls etwa –, wo es einzugreifen gälte. Ebenso schützen wir vielleicht nicht immer unsere Mitmenschen und die Umwelt (indem wir zum Beipiel nicht immer biologisch erzeugte oder fair gehandelte Lebensmittel kaufen), obwohl wir eigentlich ökologische und soziale Werte vertreten. Und auch jemand, der sehr intrinsisch (innerlich) orientiert ist, kann zuweilen von extrinsischen (äußerlichen) Verlockungen wie persönlicher Anerkennung motiviert sein.


Für diese Diskrepanz zwischen Werten und Handlungen hat die Forschung durchaus einleuchtende Erklärungen gefunden:


  • Damit ein Wert Verhalten oder Einstellung prägt, muss er uns relevant erscheinen. Man kann zum Beispiel in Bezug auf Frauen an Gleichberechtigung glauben, denselben Wert aber gegenüber anderen Gruppen nicht als wichtig erkennen.
  • Ein Wert darf sich nicht im Widerstreit mit einem anderen befinden, den wir stärker verfechten, der stärker aktiviert ist oder von uns gerade als wichtiger angesehen wird.
  • Auch Kontext und soziale Normen sind von Bedeutung. Wir handeln viel eher auf eine bestimmte Weise, wenn es unsere Umgebung ebenso tut oder wenn es von uns erwartet wird (besonders, wenn wir viel Wert auf Konformität legen).
  • Eine Rolle spielt auch, inwieweit wir „Herr der Lage“ sind. Manchmal steht es nicht in unserer Macht, anderen zu helfen, oder wir hätten enorme Hindernisse zu überwinden, um die richtige Wahl zu treffen. Wenn unser Gemeinderat uns kein Recycling-System, keine vernünftigen öffentlichen Verkehrsmittel und keine fahrradfreundlichen Straßen zur Verfügung stellt, ist „grünes“ Verhalten schwer aufrechtzuerhalten – auch wenn diese Beschränkungen teilweise selbst nur ein Ergebnis der unter uns dominierenden Werte sind.

Es ist also klar, dass gesellschaftliche Beschränkungen verschiedener Art Menschen daran hindern können, ihren intrinsischen Werten Ausdruck zu verleihen. Erziehung, Medien und sozialer Druck beeinflussen, welche Arten von Werten in bestimmten Situationen als wichtig angesehen werden, und die Normierung der Konsumkultur prägt soziale Normen und erwartetes Verhalten. Ebenso schränkt ein großer Schuldenberg die Handlungsfreiheit eines Menschen beträchtlich ein.


Unseren Urteilen liegen Werte zugrunde
Auch die Urteile, die wir fällen – ob wir eine bestimmte Partei oder Politik unterstützen und welchen Medien wir uns zuwenden – stehen oft mit Werten in Verbindung, obwohl auch hier noch andere Faktoren mitspielen. Dabei hat das Verhältnis unserer Werte zueinander großen Einfluss auf unser Urteil. Wenn gegensätzliche Werte zur gleichen Zeit aktiviert sind, neigen wir aufgrund der zwischen ihnen entstehenden Spannung zu widerstreitenden Gefühlen. Bezogen auf die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen gegen Terrorismus kann jemand sowohl die Position der Freiheit (ein Selbstbestimmungs-Wert) als auch die der nationalen Sicherheit vertreten. Das führt zu gemischten Gefühlen, wenn die mit diesen Werten verbundenen gegensätzlichen Grundeinstellungen zum Tragen kommen. Auch in der ambivalenten Haltung mancher Menschen zu Homosexualität und Schwulenrechten, bestimmten Politikern, Minderheiten, dem Fleischessen und Fettsucht wurde ähnliches beobachtet: Werte aus „gegensätzlichen Lagern“ rufen einander widersprechende Haltungen hervor.


Dieser Zusammenhang beeinflusst auch unsere Reaktionen auf politische Rhetorik: Es hat sich gezeigt, dass Menschen sich von Aussagen, die miteinander verträgliche Werte ins Feld führen, eher überzeugen lassen als von solchen, die an gegensätzliche Werte appellieren – egal, ob sie den Werten an sich Bedeutung beimessen. Genauso reagieren wir oft mit gemischten Gefühlen auf Menschen, die stark gegensätzliche Werte vertreten – selbst dann, wenn wir einem dieser Werte nahestehen oder alle beide gutheißen.


Bei diesem Einfluss, den Werte auf unsere Reaktionen haben, scheint es hilfreich, einen Blick darauf zu werfen, wovon Werte ihrerseits beeinflusst sind, wie sie entstehen und sich im Laufe der Zeit verändern.

 

 

* Quellenangaben und Fußnoten finden sich aus technischen Gründen nur in der PDF-Version des Handbuchs.