HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN*




Wie verlässlich ist der Wertekreis?
Der Schwartzsche Wertekreis baut auf den Arbeiten des Sozialpsychologen Milton Rokeach auf, der schon seit den 1960er Jahren über Werte geforscht hatte. Diese Arbeiten sind inzwischen allgemein anerkannt und bestätigt. Das Schwartzsche Modell wurde tausendfach in wissenschaftlichen Arbeiten verwendet (allein der Originalartikel wurde über 3.700mal zitiert). Hunderte von Studien in 48 verschiedenen Sprachen mit buchstäblich Hunderttausenden von Teilnehmern aus über 80 Ländern haben die Beziehungen zwischen den Werten mit Hilfe theoretischer und praktischer Methoden getestet. Die übergroße Mehrzahl bestätigte die von Schwartz angeführten Beziehungen.


Zusätzlich zur direkten Befragung von Versuchspersonen wurden die Beziehungen zwischen den Werten überprüft, indem Freunde, Partner und Familien nach ihrer Wahrnehmung der Wertvorstellungen dieser Personen befragt wurden. Getestet wurde auch, wie leicht sich wertbezogene Wörter aus dem Gedächtnis abrufen lassen. Ferner wurde das Modell anhand der Beziehungen zwischen mit Wertegruppen assoziierten Verhaltensweisen auf seine Gültigkeit überprüft. Hierbei wurde zum Beispiel beobachtet, dass Menschen, die Tradition und Konformität über alles stellen, sich auch entsprechend verhalten, eine gewisse Schnittmenge mit stark sicherheitsorientierten Personen, aber kaum Überschneidungen mit Abenteuer suchenden Menschen haben.


Das Modell ist weiterhin Grundlage des Moduls „Werte“ der European Social Survey, der größten europaweiten Erhebung sozialen Verhaltens, die alle zwei Jahre Daten in etwa 30 Ländern sammelt und an der nahezu alle nationalen akademischen Fördermittelgeber Europas beteiligt sind. Auch die World Values Survey, die „weltweit umfangreichste Untersuchung politischer und soziokultureller Entwicklungen“, bedient sich des Schwartzschen Modells.


Kurz gesagt, der Wertekreis ist ziemlich verlässlich. Das bedeutet nicht, dass er eine vollständige Erklärung menschlicher Motivationen liefern könnte. Er ist eher ein grobes, aber fundiertes Modell der Beziehungen zwischen menschlichen Wertvorstellungen und ihrer messbaren Auswirkungen auf Einstellungen und Verhaltensweisen.


Ist es moralisch erlaubt, Wertvorstellungen von Menschen zu beeinflussen?
Politik, Kommunikation, Institutionen und Kampagnen sind niemals wertfrei. Wer das – und den Einfluss von Werten auf menschliches Verhalten – erkannt hat, wird sich statt dessen die Frage stellen, welche Werte wir fördern sollten.


Müssen wir Werte ändern? Können wir nicht einfach Verhaltensweisen ändern?
Angesichts der Größe und Bedeutung der anstehenden Aufgaben glauben viele von uns, dass der Zweck die Mittel heiligt. Daher werden Verhaltensänderungen (und Politikwechsel) manchmal als Schlüssel angesehen, auf welche Motivationen und Methoden auch immer zu ihrer Umsetzung zurückgegriffen wird. Die Werteforschung zeigt jedoch, dass, wer bei den Mitteln ständig Kompromisse eingeht, das Risiko eingeht, letzlich den Zweck aus den Augen zu verlieren, indem er Werten Vorschub leistet, die das Bestreben nach einem durchgreifenderen Wandel torpedieren.


Natürlich sind Änderungen in Politik und menschlichem Verhalten wichtig, und manchmal müssen wir an extrinsische Werte appellieren, um sie einzuleiten. Das Verständnis der Werte erlaubt es uns ganz einfach, diese Änderungen in einem größeren Zusammenhang zu sehen und die Kompromisse, die wir notgedrungen eingehen müssen, genau zu bedenken.


Haben wir wirklich die Macht, Werte zu beeinflussen?
Wenn Werte so wichtig sind, wie die Forschung nahelegt, können wir es uns gar nicht leisten, intrinsische Werte nicht zu fördern. Und auch wenn keine einzelne Gruppe oder Organisation allein großen Einfluss auf Werte nehmen kann, dürfte eine Zusammenarbeit im eigenen Sektor und darüber hinaus erhebliche Wirkung haben.


Haben wir genug Zeit für einen Wertewandel?
Manche der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind – Stichwort Klimawandel – sind so dringlich, dass viele von uns zu immer verzweifelteren Momentaktionen Zuflucht genommen haben, um Veränderungen zu erzwingen. Es ist aber nicht zu beweisen, dass eine solche Herangehensweise überhaupt funktioniert – noch weniger, dass sie schnell genug sein wird –, wenn die „leicht gewonnenen“ Kampagnen in der Summe dazu beitragen, langfristige, fundamentalere Änderungen zu blockieren.


Das klingt nach den Methoden der 1970er Jahre, manchmal „moralische Kreuzzüge“ genannt. Wollen wir tatsächlich dahin zurück?
Nein. Die Erkenntnisse der psychologischen Forschung sollten uns neue Wirkungsmöglichkeiten eröffnen und voran- statt zurückbringen. Anstatt immer nur auf bestimmten Themen herumzureiten, müssen wir differenzierte Möglichkeiten finden, verschiedene Gruppen anzusprechen. Trotzdem sollten wir vermeiden, unsere Arbeit nur an den innerhalb verschiedener Gruppen herrschenden Wertvorstellungen auszurichten, ohne Rücksicht darauf, was das für Werte sind. Wir brauchen kreative, vernünftige und intelligente Ansätze – die sich durchaus zielgruppenspezifisch unterscheiden können – um die im Menschen vorhandenen intrinsischen Werte zu aktivieren.


Die erste wissenschaftliche Diskussion hierzu fand in den 1970er Jahren statt, als sich abzeichnete, dass die Häufigkeit von Blutspenden zurückgeht, sobald ein finanzieller Anreiz dafür geboten wird. Später wurde festgestellt, dass eine Geldstrafe für zu spätes Abholen der Kinder aus einer Betreuungseinrichtung die Anzahl der Zuspätkommenden erhöhte, anstatt Eltern zu pünktlichem Erscheinen anzuhalten. Eine Untersuchung der Wirkung von Anreizen auf ehrenamtliche Arbeit erbrachte, dass – trotz größerer Beteiligung – der von jedem Freiwilligen geleistete zeitliche Beitrag deutlich zurückgeht, wenn eine Belohnung winkt. Und Schulkinder, die nach Leistung belohnt wurden, sammelten weniger Spenden für gemeinnützige Zwecke als solche, denen keine Belohnung in Aussicht gestellt wurde.


Besonders eine dieser Studien kommt zu erhellenden Ergebnissen: In der Schweiz sollte mittels eines Referendums über die Lage zukünftiger Giftmülldeponien entschieden werden, was zwei Forscher dazu veranlasste, in mehreren großangelegten Umfragen zu untersuchen, ob Menschen mit einer solchen Deponie in der Nähe ihres Wohnorts zufrieden wären. Die Bevölkerung war ausgezeichnet informiert und sich der Risiken bewusst. Wenn eine Entschädigung in Aussicht gestellt wurde, sagten 25% der Befragten ja, ohne Entschädigung 50%. Dieses überraschende Ergebnis brachte die Wissenschaftler zu der Schlussfolgerung, dass der Gedanke an zivilgesellschaftliche Verantwortung anscheinend motivierender ist als der an Verantwortung plus Geld – zwei Motivationen, die sich bekämpfen statt ergänzen. Obwohl die intrinsische Motivation durchaus vorhanden war, wurde sie vom Gewicht der extrinsischen erdrückt. In der Fachliteratur ist das als „Verdrängungseffekt“ bekannt.


Außerdem zeigt die Werteforschung, dass anhaltende Förderung bestimmter Werte diese stärkt und ihre Gegenspieler unterdrückt oder schwächt. Ebenso werden Werte geschwächt, wenn keine Möglichkeit besteht, sie auszuleben. Das könnte bedeuten, dass Appelle an extrinsische Motivationen nicht nur kurzfristige, ichbezogene Reaktionen hervorrufen, sondern bei häufiger Anwendung nach und nach extrinsische Werte stärken und das Engagement für andere Menschen und die Umwelt unterdrücken.


Also geht es nur um intrinsische Werte?
Nicht immer und nicht nur. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schäumen über vor Kompetenz, wenn es darum geht, Menschen zu verpflichten und Veränderungen zu bewirken, und auf diesem Wissen müssen wir aufbauen. Werte sind einfach ein weiteres wichtiges Element, das Beachtung verdient. Techniken, mit denen man einen Erstkontakt zu Menschen aufbauen kann, sind eventuell deutlich ungeeignet, um sie nachhaltig und auf längere Zeit zu gewinnen und wollen in ihrer Wirkung auf deren Wertvorstellungen gut erwogen sein. Kleine Appetithappen, zum Beispiel im Hinblick auf das Schönheitsbedürfnis von Menschen oder die Lust, etwas geschenkt zu bekommen, können nützlich sein, um jemanden „auf den Geschmack kommen zu lassen“ – das Hauptgericht sollte dann aber mit Gemeinschaft, Kreativität und anderen intrinsischen Werten zubereitet sein.


Heißt das, dass wir die wirtschaftliche Sicht auf die Dinge ignorieren sollen?
Unser Ansatz bedeutet nicht, dass jedwedes Gespräch über (zum Beispiel) Kosten unterbleiben soll. Wir müssen aber dafür Sorge tragen, dass solche Betrachtungen die Diskussion um Vorteil und Nachteil verschiedener Strategien nicht vereinnahmen – in dem Sinne, dass etwa Geldanlagemöglichkeiten oder ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts die alles überragenden Belange wären. Im Zuge des Versuchs vieler Initiativen, ihre Prioritäten in Übereinstimmung mit Massenmedien, politischen und wirtschaftlichen Eliten neu zu setzen, hat diese Praxis leider ziemlich um sich gegriffen.


Geht es hier nur um raffinierte Kommunikation?
Nein. Ein wertebasierter Ansatz erfordert den erweiterten Blick aufs große Ganze, auf viel umfangreichere Ursachen für Werte und Verhaltensweisen als die bloß kommunikativen. Dazu gehören Politik, Institutionen und Lebenserfahrung.


Spielen in der Kommunikation nicht ohnehin andere Dinge als Werte die entscheidende Rolle?
Wir plädieren mit unserem Ansatz nicht dafür, alles, was wir über wirkungsvolle Kommunikation (oder auch andere Aspekte unserer Arbeit) wissen, über Bord zu werfen. Trotzdem verlangt er nach einem gut durchdachten Kanon von Werten und Denkrahmen als Begleiter und Grundlage dieser Arbeit.


Das kann bedeuten, dass wir auf manchen Gebieten umdenken müssen. Zum Beispiel lassen sich die meisten Menschen am ehesten von denjenigen beeinflussen, denen sie sich verbunden fühlen und die sie respektieren, von ihresgleichen und von Familienangehörigen. Es bleibt also wichtig, wer eine Botschaft überbringt. Prominente als Aufhänger zu verwenden, um Aufmerksamkeit zu erregen, ist jedoch eine Praxis, die überdacht werden sollte, besonders, wenn diese hauptsächlich Werte der Selbstüberhöhung wie Reichtum und Status verkörpern.


Auch das Umfeld, in dem wir mit Menschen umgehen, bleibt wichtig, und wir müssen ihnen immer noch mitreißende und inspirierende positive Visionen anbieten. Ein wertebewusster Ansatz sollte versuchen, diese Visionen nachhaltig zu gestalten und auf Werte zu gründen, die nicht am Ende die Vision zunichte machen.


Werden hier nicht Menschen und Werte in gute und böse – oder sogar linke und rechte – eingeteilt?
Werte an sich sind weder gut noch böse. Jeden von ihnen kann man sich als Ausdruck eines Bedürfnisses vorstellen, und jeder ist für einen bestimmten Zweck notwendig. Im Allgemeinen ist aber die Priorität, die wir manchen Werten über andere einräumen, mit einem bestimmten Sozialverhalten verbunden.


Auch kein Mensch ist als Einzelner gut oder böse. Wir alle tragen bis zu einem gewissen Ausmaß alle Werte des Wertekreises in uns. Es hängt von der Situation ab, welcher in jedem einzelnen Augenblick in den Vordergrund tritt, und dieses Hervortreten verstärkt sich mit der Zeit.


Da es durchaus bedeutsame Verbindungen zwischen Werten und Ideologien gibt, ist ein Zusammenhang dieser Art nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Wertekreis lässt sich aber nicht einfach auf ein politisches Spektrum abbilden, und eine Reihe bestimmter Werte taucht zwangsläufig in allen politischen Lagern auf.


Wie spricht man mit Menschen, die hauptsächlich extrinsisch motiviert sind?
Jeder Mensch trägt alle Werte des Wertekreises in sich, nur in verschiedenem Ausmaß. Selbst jemand, der Macht, Status und Reichtum für äußerst wichtig hält, hat auch intrinsische und über das Ich hinausweisende Werte vorzuweisen. Demnach ist es möglich, diese Werte auch in eher extrinsisch orientierten Mensachen zu aktivieren.


Natürlich kann man, wenn man sich mit Botschaften an Menschen wendet, die ihren vorherrschenden Werten völlig zuwiderlaufen, ein Gefühl der Bedrohung hervorrufen – oder auch nur Desinteresse – und zurückgewiesen werden. Einfühlungsvermögen und Kreativität, insbesondere in der Wahl des Wann, Wo und Wie einer Begegnung, können aber diese Barrieren durchaus überwinden.


Können denn Menschen in Machtpositionen nicht auch intrinsisch motiviert sein?
Doch. Mehr noch, Führungspersonen und solche in Machtpositionen können eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Veränderungen zu bewirken und umzusetzen. Wenn man aber weiß, wie Werte funktionieren, wird sofort deutlich, welchen enormen Problemen sie sich dabei gegenübersehen; denn wer solche Positionen erreichen und halten will, muss beständig nach oben streben, sein Image pflegen und Erfolge vorweisen. Diese Probleme sind nicht unüberwindlich, aber Menschen in Führungspositionen brauchen Selbsterkenntnis und -reflexion, um sie zu überwinden und sollten von kritischen Freunden begleitet und unterstützt werden.


Zu den Mächtigen haben wir eine Beziehung aufgebaut; jetzt müssen wir sie noch verbindlich für uns gewinnen. Werden wir sie nicht verprellen, wenn wir an intrinsische Werte appellieren, oder schlicht auf taube Ohren stoßen? Sollten wir uns nicht an ihren Prioritäten ausrichten?
Wie weiter oben schon angedeutet, ist es aufgrund des Unterschieds zwischen tatsächlichem Verhalten und im Hintergrund wirkenden Motiven und Werten möglich, dass eine Person, die viel erreicht hat und relativ viel Macht besitzt, dennoch vorrangig von der Sorge um das Wohlergehen anderer motiviert ist. Selbst wenn solche Menschen stark extrinsisch orientiert oder vorrangig mit der Macht selbst beschäftigt sind, können sie doch für eine behutsam formulierte Ansprache ihrer intrinsischen Werte empfänglich sein, weil eben jeder Mensch alle Werte in sich trägt.


Mancher wird es trotzdem Menschen gegenüber, die sich innerhalb ihrer Institutionen nicht von intrinsischeren Motiven leiten lassen können, als vertretbaren Kompromiss ansehen, ihre Sprache zu sprechen (zum Beispiel die Sprache von Kosten und wirtschaftlichem Nutzen), wenn dadurch wichtige Änderungen erreichbar sind.


Bisweilen geht man damit allerdings das Risiko von Kollateralschäden ein. Es kann durchaus in den Medien durchsickern, mit welcher Art von Aufrufen mächtige Gruppen umworben werden. Und wenn Strategien auf rein wirtschaftlichen Belangen gründen, kann die gesellschaftliche Rückkopplung (policy feedback), die sie erzeugen, solche Werte noch weiter etablieren.


Wir können zu einer Änderung der internen Kultur solcher Institutionen in dem Maße beitragen, wie wir es schaffen, ihr eine eigene Botschaft entgegenzustellen. Die Alternative wäre, sich gar nicht erst darauf einzulassen, sondern als starke Volksbewegung Druck von außen auszuüben. All dies muss in jedem solchen Fall sorgfältig bedacht und abgewogen werden.


Die komplette Liste der Fragen finden Sie unter valuesandframes.org/faqs.


 

* Quellenangaben und Fußnoten finden sich aus technischen Gründen nur in der PDF-Version des Handbuchs.