Und nun? Folgerungen*




Die Beschäftigung mit politischen und sozialen Fragen sensibilisiert uns ganz von selbst für das Geschehen um uns herum und ermöglicht es uns, hinter sozialem Verhalten und politischen Institutionen die zugrundeliegenden Wirtschafts- und Machtstrukturen zu erkennen. Das Verständnis der Werte und Deutungsrahmen fügt eine weitere Dimension hinzu und eröffnet ein ganz neues Feld von Möglichkeiten der Analyse, Forschung und Intervention.


Werte sind, wie gesagt, einer der großen Einflussfaktoren auf unsere Handlungen und Weltanschauungen. Wer sie versteht, erkennt, dass zahllose wichtige Themen – Rassismus, Menschenrechte, Gemeinwohl, Frauenrechte, Benachteiligung von Jugendlichen, Rückgang der Biodiversität, Nachhaltigkeit – durch ein Netz unsichtbarer Fäden miteinander verbunden sind; denn das Interesse für jedes dieser Probleme und unser entsprechendes Verhalten gehen auf unseren jeweiligen Wertekanon zurück. Ein solches Verständnis zeigt auch auf, wie Bildung, Medien und andere soziale Faktoren den Fortschritt bei der Lösung dieser Probleme beeinflussen. Werte werden von Erfahrungen aktiviert und verstärkt, und jeder von uns, ob wir wollen oder nicht, ist Teil der Erfahrung aller anderen.


Es ist deshalb wichtig, sich die Frage zu stellen, welche Werte wir befördern wollen und wie sich das auf die Probleme, die uns beschäftigen, auswirkt. Oft ergeben sich die Antworten auf diese Frage intuitiv aus unserem Tun heraus, oder sie fügen sich zumindest problemlos in unser Betätigungsfeld. Sie können aber auch dem, was wir gegenwärtig tun und der Art, wie wir es tun, zuwiderlaufen. Wir hoffen jedoch, dass das hier vermittelte Verständnis neue Möglichkeiten für eigenes Entdecken und die zukünftige Arbeit eröffnet – in Bezug darauf, wie wir uns organisieren, wie wir mit anderen umgehen und was wir fordern.


Kollateralschäden
Es ist eine Überlegung wert, dass vieles von dem, was wir bisher getan haben, möglicherweise beachtliche Nebenwirkungen hatte, deren wir uns gar nicht bewusst waren. In letzter Zeit ist es zum Beispiel in der Kommunikation üblich geworden, gezielt die vorherrschenden Motivationen verschiedener Gruppen von Menschen anzusprechen. So kann man für ehrenamtliche Tätigkeit, Bildungsarbeit und gemeinnützige Spenden persönlichen Gewinn oder Werbegeschenke in Aussicht stellen. Statusbewussten Menschen kann ein Umschwenken auf ökologisches Verhalten als „schick“ verkauft werden, den Genügsamen als Gelegenheit, Geld zu sparen. Auch ein Appell an die Menschenrechte lässt sich mit dem Argument „verkaufen“, dass Menschenrechts­ verletzungen unsere Sicherheit beeinträchtigen (oder die von Leuten, denen wir uns verwandt fühlen).


Dieser Ansatz ist durchaus hilfreich, weil er uns die Wichtigkeit vor Augen führt, die unterschiedlichen Motivationen verschiedener Menschengruppen zu verstehen, und er kann bei bestimmten Zielen tatsächlich zum Erfolg führen. Er zieht aber meist auch beträchtliche „Kollateralschäden“ nach sich: Da sich Werte im Menschen mit wiederholter Aktivierung festigen, verstärken solche Appelle tatsächlich gerade diejenigen Werte, die einer dauerhaften Änderung im Weg stehen.


Menschen dort abholen, wo sie stehen
Wenn man extrinsische Werte im Motivationsgefüge eines Menschen stärkt, kann das also unbeabsichtigte Folgen haben. Gleichzeitig können Menschen aufgrund ihrer dominierenden Werte – die eben manchmal vorwiegend extrinsisch sind – negativ auf alles reagieren, was sie als ihrem Wertekanon ganz und gar entgegengesetzt empfinden.


Zusätzlich können Menschen auf bestimmte Arten daran gehindert sein, ihre Werte zu leben: zum Beispiel durch die Normierung bestimmter Verhaltensweisen durch Medien und andere Institutionen, durch die Konsumkultur oder durch finanzielle Beschränkungen. Selbst Menschen, die intrinsischen Werten Vorrang einräumen, haben eventuell in ihrem Arbeits- und Lebensumfeld nur begrenzte Möglichkeiten, entsprechend aktiv zu werden. Jemand hält vielleicht Gemeinschaft und Gleichheit für wichtig, ist aber mit demokratischen Prozessen am Arbeitsplatz nicht vertraut (und scheut sich anfangs davor). Ebenso verleihen Menschen ihren Werten auf verschiedene Arten Ausdruck: Manche sind es gewohnt, für Dinge, die ihnen wichtig sind, Geld zu spenden, andere bringen Zeit und Kreativität ein, wieder andere wollen einfach mitdiskutieren.


Um Menschen anzusprechen, ist es deshalb wichtig, sie dort abzuholen, wo sie stehen – immer mit dem Blick darauf, ihnen letztendlich Raum zur Veränderung und den intrinsischeren ihrer Werte Gelegenheit zur Blüte zu verschaffen. Dazu – um unsere Mitmenschen zu gewinnen und zu halten – müssen wir das Beste aus unserem gemeinsamen Wissen und den schon vorhandenen Erfahrungen machen und nachdenken: über unsere Sprache, die Medien, die wir nutzen und die Orte, an denen wir arbeiten.


Unsere Arbeit mit Werten in Einklang zu bringen, die dauerhafte Veränderungen bewirken können, ist ganz sicher nicht durchweg einfach und auch nicht schnell getan. Wir möchten aber im Folgenden einige erste und wichtige Leitlinien formulieren, die uns helfen sollen, unser Tun kurz-, mittel- und langfristig neu zu gestalten.


LEITLINIEN FÜR EINEN NEUEN ANSATZ.

Unsere Arbeit mit Werten in Einklang zu bringen, die dauerhafte Veränderungen bewirken können, ist ganz sicher nicht durchweg einfach und auch nicht schnell getan. Wir möchten aber im Folgenden einige erste und wichtige Leitlinien formulieren, die uns helfen sollen, unser Tun kurz-, mittel- und langfristig neu zu gestalten.


1. Sich Werte zu eigen machen
Werte und Deutungsmuster eröffnen neue Möglichkeiten der Analyse, Untersuchung und Intervention: wie sie sich in ökonomischen Strukturen äußern, Verhaltensweisen und Institutionen prägen und sich in unseren eigenen Strategien und Methoden zeigen.


Beispiel: 2006 erschien Living Values (Lebendige Werte), eine Studie, die NGOs dazu aufruft, sich mehr zuzutrauen. Dafür wurden in einer Reihe von Workshops zivilgesellschaftliche Werte untersucht. Die Teilnehmer diskutierten Werte wie „Mitbestimmung erlangen“ und „das Leben umkrempeln“ im persönlichen und institutionellen Kontext sowie die Bedrohung solcher Wertvorstellungen (die, wie übereinstimmend festgestellt wurde, hauptsächlich aus ihren eigenen Organisationen kam) durch hierarchische Organisationsstrukturen und kurzsichtige Denkweise. Die daraus abgeleitete Empfehlung war, Werte in den Vordergrund und Mittelpunkt allen Handelns zu stellen. — Siehe bit.ly/livingvalues (englisch)



2. Intrinsische Werte pflegen
Kein Aspekt unserer Arbeit ist jemals wertfrei, alle verkörpern und verstärken sie bestimmte Werte und Deutungsmuster. Wir müssen deshalb intrinsische Werte nicht nur stärken, sondern in jeden Teil unserer Arbeit einbetten.


Beispiel: Das Natural-Change-Projekt des WWF brachte „sieben ungleiche Individuen aus Wirtschaft, Kunst, Bildung, Gesundheitswesen, dem öffentlichen und dem gemeinnützigen Sektor Schottlands“ zusammen, die alle in der Kommunikation bewandert waren und als „grün angehaucht“ beschrieben wurden. Eine Reihe von Workshops und ein nachbereitender Blog sollten die Teilnehmer veranlassen, das Thema Nachhaltigkeit gründlich zu reflektieren, was, wie sich zeigen sollte, einen tiefgreifenden Eindruck hinterließ. Die Teilnehmer berichteten, auf einer tieferen Ebene berührt worden zu sein als von den üblichen „traditionellen“ Kampagnen, eine engere Verbindung zur Natur und zu Fragen der Nachhaltigkeit mitgenommen zu haben – und den Wunsch, dies mit anderen zu teilen, was zu sichtbaren Verhaltensänderungen führte. Inzwischen organisieren sie selbst Veranstaltungen. — Siehe bit.ly/naturalchange (englisch)


3. Extrinsische Werte in Frage stellen
Es gibt in unserer Gesellschaft und Kultur eine Vielzahl von Faktoren, die den Wunsch nach Reichtum, sozialer Anerkennung und Macht nähren und gleichzeitig das Engagement für Menschen und Umwelt zurückgehen lassen. Diese Faktoren anzusprechen ist essenziell, wenn wir vorankommen wollen.


Beispiel: Die Aufklärungskampagne des Equality Trust zur schädlichen Wirkung von Ungleichheit auf Gesellschaften. Ungleichheit befördert extrinsische Werte quer durch die Gesellschaft, nicht nur in ärmeren Gruppen, indem sie Unsicherheitsgefühlen und – durch Kultivierung des Wunschs nach persönlicher Aufwertung – dem Konsumdenken Vorschub leistet. Diese Faktoren rufen Stress und Zukunftsangst hervor, lassen gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Fettleibigkeit und Herzkrankheiten entstehen und bewirken mehr Konsum und eine weniger nachhaltige Lebensweise. [72] Zusätzlich zur direkten Auseinandersetzung mit Ungleichheit werden andere Angriffspunkte der Intervention genannt, zum Beispiel Werbung und Teile der Medienlandschaft, die eine wichtige Rolle bei der Verfestigung und Erhaltung solcher Werte spielen. — Siehe bit.ly/equalitytrust (englisch)


4. Das große Ganze sehen
An extrinsische Werte zu appellieren, um schnelle und merkliche Politik- oder Verhaltensänderungen herbeizuführen, kann Vorteile haben, die gelegentlich den dadurch bewirkten „Kollateralschaden“ aufwiegen. Ohne ein klares Verständnis von Werten können wir aber solche Kompromisse nicht verlässlich erkennen und effektiv angehen. Wir sollten niemals das Größere aus den Augen verlieren, die Vision eines langfristigen tiefgreifenden Wandels, verbunden mit einem klaren Verständnis der Werte, die ihm zugrundeliegen müssen.


Beispiel: Eine gute Illustration der Kompromissproblematik liefert der Stern- Report zur Ökonomie des Klimawandels. Seine Veröffentlichung konfrontierte Kommentatoren und Zivilgesellschaft mit einer Reihe von Anliegen, auf die es sich in diesem Zusammenhang zu konzentrieren gälte. Viele davon verstärkten den herrschenden Deutungsrahmen, indem sie auf die rein wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels und die wirtschaftlichen Vorteile des Handelns dagegen abstellten. Es ist aber auch ein anderer Rahmen möglich, dessen Grundzüge zum großen Teil ebenfalls im Stern-Report präsent waren: sich auf die ethische Dimension einschließlich der negativen Folgen für Menschen und Natur zu konzentrieren. Der dominierende Deutungsrahmen hat wahrscheinlich extrinsische Wertvorstellungen befördert; er hat aber auch für mehr Schlagzeilen und größere Aufmerksamkeit gesorgt. Die Alternative hätte vielleicht weniger Aufmerksamkeit erregt, wäre aber nicht der Versuchung erlegen, einen möglicherweise zutiefst kontraproduktiven Denkrahmen zu verstärken – stattdessen wären intrinsischere Anliegen zur Sprache gekommen. — Eine ausführlichere Diskussion des Stern-Reports findet sich unter valuesandframes.org/stern (englisch)


5. Zusammenarbeiten
Es ist klar, dass eine einzelne Gruppe oder Organisation, die ganz allein ihre Wertvorstellungen ändert, nicht viel bewirken kann. Um Wirkung zu erzielen, müssen wir zusammenarbeiten, im eigenen Sektor und darüber hinaus. Da unsere verschiedenen Anliegen durch die ihnen zugrunde liegenden Werte verknüpft sind, hilft unser Bemühen immer auch den anderen.


Beispiel: Die Robin-Hood-Steuer hat es geschafft, eine ganze Palette verschiedenartiger Menschen, Gruppen und Organisationen – unter anderem Religionsgemeinschaften, große NGOs, kleinere zivilgesellschaftliche Gruppierungen, Gewerkschaften, Ökonomen und Vertreter der Privatwirtschaft – um eine ansonsten eher unwahrscheinliche Aufgabe zu scharen: eine Reform des Finanzsektors. Unter dem klaren und zugkräftigen Hauptanliegen der Einführung einer Finanztransaktionssteuer konnte eine große Zahl anderer Themen zusammengebracht werden, von Kinderarmut und dem öffentlichen Dienst in Großbritannien bis hin zur Gesundheit von Müttern weltweit und dem Klimawandel. Entscheidend ist auch, dass sich die Kampagne eines wirkungsvollen Rahmens bedient: der archetypischen Figur des Robin Hood, der die Idee sozialer Umverteilung im Namen der Gerechtigkeit verkörpert. — bit.ly/robinhoodcoalition (englisch)


VERÄNDERUNGEN BEWIRKEN


In Übereinstimmung zu bringen, was wir über unsere Wertvorstellungen sagen und wie wir sie leben, kann ungeahnte Kräfte freisetzen. Wahrscheinlich gibt es viele Gebiete unseres Wirkens, in denen es unseren eigenen Anliegen sehr zugute käme, wenn wir über die Werte, die wir befördern wollen, nachdächten. Wir machen uns im Folgenden ein paar Gedanken, welche Gebiete das sein könnten.


Kommunikation, Bildung, Moderation
Werte zu berücksichtigen nimmt den Aussagen, die wir kommunizieren, nichts von ihrer Bedeutung. Nur sollten unsere Botschaften auch in jeder Hinsicht von diesen Werten geprägt sein: durch die Umgebung, in der wir sie verkünden, den Deutungsrahmen, den wir zugrundelegen, den Grad an Mitbestimmung, den wir anderen zugestehen und durch die Person des Überbringers selbst. Ebenso wichtig ist, wie und wie weit wir unsere Adressaten einbeziehen. Wer eine Botschaft relativ unbeteiligt empfängt – zum Beispiel beim Lesen eines Faltblatts – wird wahrscheinlich auch für Werte nur oberflächlich sensibilisiert; und eine Übermittlung „von oben herab“ kann die Ausbildung und das Ausagieren von Selbstbestimmungswerten unterdrücken. Viel größere Wirkung haben eigenes Erleben und intensive Beteiligung, und Selbstbestimmungswerte wird vor allem aktivieren, wer eigene Meinungen und kritisches Denken zulässt und fördert.


Beispiel: Die schottischen Klimagesprächsgruppen (Carbon Conversations Groups) bieten Menschen einen neutralen und unterstützenden Raum, sich zum Thema Klimawandel „zu vernetzen, zu informieren und zu handeln“. In sechs moderierten Treffen werden vertrauensbildende Übungen absolviert und Informationen ausgetauscht, wird diskutiert und der eigene CO 2 -Fußabdruck und Lebensstil unter die Lupe genommen. Die intrinsischen Werte, die dem Wunsch nach Beschäftigung mit ökologischen Fragen zugrundeliegen, kommen in der Intensität und Offenheit der Gesprächskreise zum Ausdruck und auch darin, dass sowohl emotionale als auch rationale Reaktionen auf die Problematik untersucht und geteilt werden dürfen.


Beispiel: Die Oxfam-Kampagne „Be Humankind“ („Sei die Menschheit“ oder „Sei menschlich-gut“) spricht Gemeinsinn und Güte an und beschwört gleichzeitig den größeren Kontext der gesamten Menschheit, womit intrinsische Werte breiter zur Wirkung gebracht und gefördert werden sollen: Die Unterstützer werden aufgefordert, als Teil einer größeren menschlichen Gemeinschaft aktiv zu werden.


Interessenvertretung, Lobbyarbeit and politisches Wirken
Unsere eigenen Erfahrungen sind entscheidend durch Institutionen, Politik und soziale Strukturen geprägt. Wie können wir herausfinden, welchen Einfluss diese unter Berücksichtigung von Werten haben könnten? Wenn zum Beispiel ökonomische Indikatoren stellvertretend für gesellschaftlichen Fortschritt stehen, sind Werte im Spiel. Wie aber könnte man Wertschätzung für Menschen und Natur, Kreativität und faire Chancenverteilung besser in eine politische Strategie fassen?


Beispiel: Mumsnet, das Online-Netzwerk für Eltern, versucht seit kurzem, der Darstellung von Frauen als Objekten und der Sexualisierung der kindlichen Welt entgegenzutreten, indem es eine Kampagne gegen die Vermarktung von Männermagazinen und sexuellen Inhalten unter Kindern führt. Dieses Thema hängt eng mit extrinsischen Werten wie Macht und Imagebewusstsein zusammen, ebenso mit gesundheitsschädigendem Verhalten wie Essstörungen. Dem ethischen Aspekt der Problematik hat die Kampagne, die mit einer Vielzahl von Akteuren zusammenarbeitet (u.a. dem Erzbischof von Canterbury, Politikern, Organisationen des Gesundheitssektors und der Pfadfinderorganisation Girl Guides), inzwischen eine konsequente und hörbare Stimme verliehen. Kampagnen wie diese können helfen, die zunehmende Normalität extrinsischer Werte zu bekämpfen.


Organisation, Unterstützer, Mittelbeschaffung und Finanzen
Wie Menschen eine Organisation insgesamt erleben, wirkt sich verstärkend auf bestimmte Werte aus. Nicht immer sind es diejenigen, die man eigentlich propagiert. Deshalb ist die Beziehung zu den Menschen, für die wir arbeiten, wichtig. Eine partizipative Bürgerversammlung in einem Gemeindesaal verkörpert ganz andere Werte als eine offizielle Veranstaltung, die Menschen zur Akzeptanz hierarchischer Strukturen anhält. Ebenso bieten finanziell erfolgreiche Modelle und Techniken oft wenig Spielraum für unsere Zielgruppen, sich zu beteiligen (und leiden oft unter starker Abwanderung von Mitgliedern, Unterstützern oder Angestellten). Ein Beispiel ist das zivilgesellschaftliche Modell der professionalisierten „Protestindustrie“, bei der die intensivste Form der Beteiligung im Bankeinzug besteht. Welche Organisationsmodelle verkörpern also die Werte, die wir fördern wollen, am besten?


Beispiel: Das Klima-Aktionscamp, bei dem nationale, regionale und lokale Entscheidungsgruppen eine intensive Partizipation ermöglichten. Obwohl die praktische Beteiligung durch Faktoren wie die verfügbare Zeit, Mobilität und Erfahrung der Teilnehmer begrenzt war, gab es doch prinzipiell einen Entscheidungsfindungsprozess, der allen offenstand und eine direkte basisdemokratische Mitsprache ermöglichte. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Auswirkungen der behandelten Probleme auf Menschen und Natur, und es wurde zur gewaltfreien, direkten und kreativen Aktion aufgerufen.


Beispiel: Die Fundraising-Abteilung des walisischen Zentrums für Alternative Technologie (CAT) hat in jüngster Vergangenheit begonnen, ihre Arbeit nach Werten auszurichten. Erster Schritt war der Aufbau einer nicht konkurrenz-, sondern kooperationsorientierten Kultur, die auf Ehrlichkeit und Integrität basiert, innerhalb der Abteilung wie auch gegenüber anderen Organisationen. Dann wurde begonnen, extrinsische Werte und Deutungsrahmen aus der internen und externen Kommunikation zu verbannen, zum Beispiel, indem der Fokus auf die zu erledigende Arbeit gelegt wurde, nicht darauf, ob sie „sich rechnet“. Neu gegründete Diskussionsgruppen sollen die Arbeit des CAT, die Beweggründe der Geldgeber und Möglichkeiten, deren Engagement zu erhöhen, unter die Lupe nehmen. Schließlich wird auch nach neuen Wegen gesucht, Fortschritt zu messen, zum Beispiel daran, wie lange Mitarbeiter bleiben, wie zufrieden sie sind und wie stark sich Geldgeber engagieren und an das CAT binden.


Gestaltung und Aktion
Gestalten und praktische Tätigkeit, insbesondere die Förderung von Kreativität um ihrer selbst willen, sind oft eng mit Selbstbestimmungswerten verbunden, die wiederum tendenziell eine enge Beziehung zu Werten der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit haben. Obwohl ein solches Ethos und solche Werte in vielen Projekten schon zu finden sind, könnten sicher noch mehr Menschen auf neue Weise dafür gewonnen, darin bestärkt und einbezogen werden.


Beispiel: Waldschulen zielen darauf ab, Schüler „durch positive Naturerfahrung zu fördern und zu inspirieren.“ Kinder aller Altersgruppen gehen regelmäßig an ihrem Wohnort in den Wald. Neben der Möglichkeit, etwas über ihre Umwelt zu lernen, wird ihre Eigeninitiative beim Entdecken der Natur und Lösen von Problemen gefördert. Indem sie fesselnde und lösbare Aufgaben stellen, fördern Waldschulen Selbsterkenntnis, Wertschätzung der Natur, soziale und emotionale Intelligenz.


Beispiel: Depave („Entpflastern“) ist eine US-amerikanische Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, unnötig befestigte Flächen zu entsiegeln und durch öffentliche Grünanlagen zu ersetzen. Dahinter stecken zwei Gedanken: Zum einen wird angeführt, dass Beton die menschliche Entfremdung von der Natur verstärke, zum anderen trage er zur Verschmutzung des Regenwassers bei. Freiwillige werden im Sinne des Kampagnenziels nur mit diesen zwei Gründen zum Mitmachen geworben, ohne dass irgendeine Vergütung in Aussicht gestellt wird. 2009 „entpflasterten“ 275 Freiwillige eine Fläche von reichlich 2.700 m2 und schufen sechs öffentliche Grünanlagen, drei nachhaltig gestaltete Schulhöfe und 65 Gartenparzellen.


Gemeinwesen und Hilfsangebote
Hilfsangebote und gemeinnützige Arbeit können Selbstbestimmungswerte fördern und mit Leidenschaft geleistet werden, sie können aber auch die bestehende Ordnung zementieren, Konformität und Autoritätsgläubigkeit fördern. Wo es um Hilfe für andere geht (mit intrinsischen Werten verbunden), kann es wichtig sein, dass die angewandten Methoden mit diesen Werten in Einklang stehen; andernfalls könnten sie ebendiese Werte und das angestrebte Ziel untergraben.


Beispiel: Community Links ist eine Initiative, die im Osten von London mit benachteiligten Einwohnergruppen arbeitet. Ihre Mission beschreibt sie als „Veränderungen bewirken; Ursachen, nicht Symptome angehen; Lösungen finden statt Schönheitskorrekturen vorzunehmen. Erkennen, was wir zu geben haben und was wir brauchen, und dass diejenigen, die Probleme haben, sie selbst am besten verstehen... Zwischen Vielfalt als Bereicherung der Gesellschaft und Ungleichheiten als Schmälerung unterscheiden. Wachsen – aber als Netzwerk, nicht im Sinne eines Imperiums... Nichts anderes für die Menschen tun als Wegweisung und Unterstützung zu geben, sie zu schulen und zu befähigen, sie ganz einfach zu inspirieren.“ Mit diesen Zielen ist Community Links in den Stadtteilgemeinschaften präsent, neben Schulen, dem öffentlichen Dienst und den Gemeindeverwaltungen. Die Initiative gibt Jugendlichen und Erwachsenen Rat und Hilfestellung bei Weiterbildung und Arbeitssuche, in Bezug auf Kinderbetreuung und Spielmöglichkeiten, Gärtnern und andere Themen der Stadtteilentwicklung. Außerdem wurde eine Schule für benachteiligte Kinder gegründet, die es im vergangenen Jahr schaffte, jedem Absolventen eine weiterführende Ausbildung oder Arbeitsstelle zu vermitteln. Neben diesem Engagement für lokale Belange steht eine beharrliche politische Arbeit auf nationaler und internationaler Ebene.


Beispiel: Das „Rights and Justice Team“ von Friends of the Earth schickt juristische und praktischer Berater in lokale Gemeinschaften, die „am schlimmsten von Umweltproblemen betroffen und am wenigsten entscheidungsberechtigt“ sind, um permanente Hilfestellung und Unterweisung zu geben. Probleme der ökologischen Gerechtigkeit in britischen Gemeinden (zum Beispiel in Teilen Londons) werden mit denen in anderen von Umweltschäden betroffenen Teilen der Welt in Verbindung gebracht. Dabei ist stets das „große Ganze“ und das Ziel präsent, systemimmanente Probleme anzugehen, ob nun Training vermittelt oder kleinere Prozesse vor Gericht geführt werden. Der Denkrahmen der Gerechtigkeit speist sich hier sowohl aus intrinsischen Werten wie Gleichheit und Freiheit als auch aus der juristischen Dimension der bearbeiteten Probleme.


MÖGLICHKEITEN DES WANDELS


Die Art, wie wir als Einzelne und Organisationen miteinander und mit der Welt allgemein umgehen, ist von Werten geprägt. Wir haben uns Gedanken gemacht, was das für uns bedeutet.


Wie wir uns organisieren
Der physische Raum und die Organisationsstrukturen, in denen wir arbeiten, sind wichtige Teile unserer Erfahrungswelt. Es ist also sinnvoll, zu fragen, welchen Werten sie im Augenblick Vorschub leisten. Verkörpern die Initiativen und Gruppen, denen wir angehören – und die Art, wie wir miteinander umgehen – die Werte, auf die sich unsere Arbeit bezieht?


Wie wir andere ansprechen
Die Art, wie sich unsere Organisationen der Außenwelt präsentieren – durch Veranstaltungen, Dienstleistungen, Kampagnen oder Spendenaufrufe – befördert bestimmte Wertvorstellungen. Verkörpern unsere Angebote und Botschaften Werte, die ein bleibendes Engagement für unsere Anliegen hervorbringen können?


Was wir fordern
Die Veränderungen, die unsere Initiativen und Gruppen anstreben, werden Auswirkungen haben, die über den direkten und offensichtlichen Effekt hinausgehen und letztlich bestimmte Werte befördern. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wie sich die politischen Ansätze, Organisationen und Methoden, für die wir uns stark machen, auf Werte auswirken.


Wie wir uns dieses Programm aneignen und welche Änderung wann an der Reihe ist, wird von Fall zu Fall verschieden sein. Wir können uns aber drei verschiedene Stufen der Veränderung vorstellen:


In Gang kommen
Die Triebkräfte hinter den verschiedenen Werten ausmachen und analysieren. Besser zusammenarbeiten. Über neue Maßstäbe für Fortschritt und Erfolg nachdenken.


Strukturen ändern
Unsere Kommunikation konsequent nach Werten ausrichten, kontraproduktive Deutungsrahmen in Frage stellen. Organisationen neu denken, so dass sie für Angestellte, Leiter und Kooperationspartner tatsächlich die Werte verkörpern, für die wir eintreten.


Den Wandel ins System einbauen
Auf politischer Ebene für intrinische Werte eintreten. Sich mit etablierten Normen und Institutionen auseinandersetzen, die extrinsische Werte begünstigen.


 

* Quellenangaben und Fußnoten finden sich aus technischen Gründen nur in der PDF-Version des Handbuchs.